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Meine Auslandseinsätze sind deshalb außergewöhnlich, weil ich immer wieder in scheinbar ausweglose Situationen und unlösbare Probleme hineingerate, welche ich mit unheimlichen Glück und ungewöhnlichen Maßnahmen löste und zu einem erfolgreichen Ende führte.

Ein Beispiel aus meinem Einsatz in Syrien 1974: Ich bekam von meinem Bataillonskommandanten Major Gigacher den Auftrag mit einem Zug Soldaten eine Absturzstelle eines abgeschossenen UN Flugzeuges zu sichern.

 

Dazu folgende Leseprobe aus „Call Zofal“:

 „Die Nacht verlief ruhig, zwei Drittel der Männer ruhte, ein Drittel wachte und sicherte die Absturzstelle, mein Stellvertreter und ich gingen abwechselnd die Gruppen ab.

Am Morgen des folgenden Tages erhielt ich vom Bataillon über Funk die Information, dass im Laufe des Tages das UN Hauptquartier und die Kanadier mit Untersuchungsteams bei mir eintreffen werden. Ich begann mit dem dritten Teil des Auftrags nämlich mit dem Einsammeln der sterblichen Überreste. Dazu gab ich den Gruppenkommandanten den Auftrag, Stecken und Stöcke zuzuspitzen und jeden Mann mit einem solchen Stock auszurüsten. Außerdem hatte jede Gruppe eine leere Munitionskiste mitzunehmen. Einige Zeit später marschierte der gesamte Zug in Schützenkette über die Unfallstelle wobei die Männer mit den Stöcken die Leichenteile aufspießten und in die Munitionskiste legten. Die neun kanadischen Opfer wurden bei dem Absturz regelrecht zerfetzt, sodass die meisten Überreste nicht größer als ein Handteller waren. Nach einigen Stunden waren die Munitionskisten mit blutverkrusteten Bekleidungsfetzen, Fleischstücke und zertrümmerten Gliedmaßen gefüllt, die wir in eine größere Kiste um leerten.

Am späten Nachmittag, wir waren gerade dabei uns zur Nachtruhe einzurichten, kam vom Bataillonskommando folgender Funkspruch: „Lage: Sie befinden sich auf syrischem Territorium, daher verlangen die Syrer, dass die UNO sofort die Unfallstelle räumt, widrigenfalls das Gelände von der syrischen Armee gewaltsam genommen wird. Befehl: Nach UN Auffassung ist die Unfallstelle UN Territorium. Daher richten sie sich mit ihrem Zug zur Verteidigung ein. Das UN Hauptquartier befielt alle weiteren Maßnahmen! Wiederholen! Kommen!“.

Das war ein Brocken! Ich liege hier mit 42 Köche, Mechaniker, Schreiber, Fahrer und Ordonanzen, bewaffnet mit unseren Sturmgewehren inmitten der hochgerüsteten syrischen Armee die soeben einen Krieg führte und die nun droht, das Gelände mit Gewalt zu besetzen.

„ Gruppenkommandanten zu mir!“. Während die Gruppenkommandanten anmarschierten, führte ich eine Beurteilung der Lage durch. Verteidigen heißt Gelände zu halten. Das heißt weiter, bis zur letzten Patrone zu kämpfen dabei Verletzung, Verstümmelung, Tod oder Gefangenschaft. Wie werden die Syrer angreifen? Trauen sie sich oder trauen sie sich nicht, sie riskieren immerhin ein Wiederaufflammen der Feindseligkeiten mit Israel und einen gewaltigen Prestigeverlust in Weltöffentlichkeit. Anderseits hatten sie die Chance eines leichten Sieges. Wenn sie angreifen dann war die Frage: In welcher Stärke? Ein Großangriff mit Luftwaffe, Panzern und Artillerie? Kaum! Sie werden, mit höchster Wahrscheinlichkeit, zuerst mit Infanterie der umliegenden Garnisonen kommen. In diesem Fall hätte ich die Möglichkeit zu verhandeln. Bekomme ich Verstärkung? Unmöglich! Das österreichische Bataillon ist mit seinen Aufgaben voll ausgelastet. Außerdem müsste ein Entsatz durch 100 km syrischen Terrains fahren. Wir sind allein! Die Hauptfrage war aber: Wie entscheidet das UN Hauptquartier? Geben die Verantwortlichen den Syrern nach oder lassen sie die Situation weiter eskalieren? Das waren meine Gedanken.

Als die Gruppenkommandanten bei mir waren erklärte ich ihnen die Lage und unsere beschränkten Optionen. Blankes Entsetzen war die Reaktion. Der Mechanikerwachtmeister sagte treffend: „ Verdammt, wir werden hier krepieren!“

Meine Antwort war: „ Noch nicht! Ich werde alles versuchen, dass wir hier raus kommen! Wenn sie anmarschieren, dann gehe ich ihnen entgegen und versuche zu verhandeln. Sollten sie mich umbringen, dann ist das Spiel vorbei, dann verkauft ihr euer Leben so teuer als möglich! Und jetzt Befehl : Eingraben!“

Die Männer begannen zu schanzen. Der Boden war sehr steinig und so war von Graben keine Rede es war ein lediglich kümmerliches Schürfen. Allerdings verlieh den Soldaten die Aussicht vor dem was da kommen wird, ungeahnte Kräfte und sie hatten nach einigen Stunden passable Schützenmulden geschürft. Als ich durch die Stellungen der Gruppen ging, kam ein junger Soldat zu mir und sagte: „ Herr Offizierstellvertreter! Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, ich will hier nicht sterben. Lassen sie mich bitte weggehen.“

Meine Antwort: „Auch ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Wir haben uns diesen Job ausgesucht und nun müssen wir da durch! Ich werde alles tun um euch hier heraus zu bekommen. Ich habe ihr Anliegen überhört und vergessen und nun verschwinden sie in ihr Loch und tun sie ihre Pflicht!“

Ich konnte ihn verstehen, jeder von uns wusste, dass dies vielleicht die letzten Stunden unseres Leben sein könnten.

Dann kam eine schlaflose Nacht. Noch einmal dachte ich alle möglichen Szenarien eines Gefechts durch. Sollten wir angreifende Infanterie durch Abwehrfeuer in Deckung zwingen, dann ist mit einem Luftangriff, Artilleriefeuer und einem Panzerangriff zu rechnen. Für diesen Fall wollte ich das Bataillonskommando fragen ob ich ausbrechen darf. Dafür mussten wir vorher die LKWs umrüsten, also: Gruppenkommandanten zu mir!

Ich erklärte kurz meine Absicht und befahl: „Ihr rüstet sofort die LKW auf eine Art Schützenpanzer um. Die Kfz werden abgeplant, Planen und Spriegel abgeladen! Alle Bänke werden hoch geklappt, die Mittelbänke abgeladen, die Bordwände verstärkt ihr durch euer Gepäck, durch Steine und sonstigem Material. Sollten wir vom Bataillon die Genehmigung bekomme unsere Stellung zu räumen, dann habe ich die Absicht in Sturmfahrt durch die syrischen Linien durchzubrechen und über die Grenze in den Libanon zu fahren.“

Das Umrüsten geschah unverzüglich und eine Stunde später übte ich mit dem Zug den Durchbruch. Nach dem Vorüben wusste jeder seinen Platz auf den Lkws, seine Schussrichtung und die Fahrer kannten den Weg. Nach der Übung kam das Warten.

Nach einer schlaflosen Nacht kam der Morgen und die Spannung wuchs. Was bringt der heutige Tag? Da kann mein Funker gab mir den Hörer und sagte: „Herr Offizierstellvertreter, das Bataillon!“

Ich hörte: „ Hier Tiger 51 ( Gigacher ) Befehl vom HQ ( Hauptquartier)! Sofortiges Räumen der Unfallstelle und zu Tiger ( Bataillon)! einrücken! Wiederholen! Kommen!“

Diese Meldung gab ich sofort an die Gruppen weiter worauf großer Jubel ausbrach. Nach kürzester Zeit fuhren wir ab und etwa vier Stunden später saß ich mit den Männern bei einer Dose Bier in der Mens Mess ( Soldatenheim ) und lachten über die vergangenen Stunden.“

Alle Geschichten von „Call Zofal“ sind einmalig, unglaublich, seltsam und außer der Norm. Sie haben mit dem „normalen“ Leben im Einsatz nichts zu tun.